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Konsumforschung: Augen auf beim Einkauf

Augen auf beim Einkauf

 

Wer den Blick gerne schweifen lässt, läuft Gefahr, im Supermarkt viel mehr zu kaufen, als er eigentlich vorhatte – das ist das Ergebnis einer neuen Studie.

Dass nämlich die individuelle Aufmerksamkeit beim Einkauf eine bedeutende Rolle spielt, weist der Innsbrucker Konsumforscher Mathias Streicher gemeinsam mit Kollegen nun erstmals eindeutig nach.

Wer gerne den Blick schweifen lässt, macht das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch, wenn er durch den Supermarkt spaziert – und bringt dann häufig mehr Einkäufe nach Hause als eigentlich geplant. Das zeigt eine Untersuchung des Innsbrucker Konsumforschers Dr. Mathias Streicher, die er gemeinsam mit seinen Kollegen Oliver Büttner (Universität Duisburg-Essen) und Zachary Estes (Bocconi-Universität, Mailand) durchgeführt hat. „Wir haben uns angesehen, welche Rolle visuelle Aufmerksamkeit bei ungeplanten Einkäufen spielt. Mehrere Studien im Marketing-Bereich legen nahe, dass Konsumenten mehr Spontankäufe tätigen, wenn sie beim Einkaufen auch mehr Produkte erblicken. Dass dabei auch das individuelle Aufmerksamkeits-Verhalten von Einzelnen eine große Rolle spielt, konnten wir jetzt erstmals nachweisen“, erklärt Mathias Streicher.

Aufmerksamkeitstypen

Die Forscher unterscheiden im Wesentlichen zwischen zwei Typen, die ihre Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Aspekte richten: Menschen mit einem engen Fokus achten auf das, was unmittelbar vor ihnen ist, im Supermarkt etwa tendenziell auf die Mitte eines Regals. Breit fokussierte Personen lassen sich leichter ablenken, ihr Blick schweift und sie nehmen mehr von ihrer Umwelt wahr. „Jeder Mensch ist zwar tendenziell der eine oder der andere Typ, aber vieles hängt auch von der jeweiligen Situation ab“, sagt der Konsumforscher. Zum Beispiel führt, um beim Supermarkt-Beispiel zu bleiben, eine Einkaufsliste in der Hand zu einer umsetzungsorientierten Einstellung und der Blick verengt sich – man ist fokussierter.

Nun ist es möglich, die Aufmerksamkeit durch eine einfache visuelle Aufgabe für zumindest kurze Zeit in einen engen oder breiten Zustand zu versetzen, ohne dass das dieser Person bewusst wird („primen“, zum genauen Vorgang siehe unten): „Wir haben Einkäufer vor einem Innsbrucker Supermarkt gefragt, ob sie an unserem Experiment teilnehmen wollen und eine Gruppe dann auf engere und eine auf breitere Aufmerksamkeit geprimt. Das Ergebnis hat uns selbst überrascht: Die mit breiter Aufmerksamkeit geprimten Menschen kamen mit signifikant mehr Spontankäufen aus dem Supermarkt als jene, die eng geprimt waren.“ Im Durchschnitt haben zwar auch die auf enge Aufmerksamkeit geprimten Testpersonen rund 6 Euro für ungeplante Produkte ausgegeben, die breit geprimten allerdings 11 Euro – fast doppelt so viel. „Wir haben die Studie insgesamt zwei Mal wiederholt und das Ergebnis hat sich jedes Mal bestätigt.“ Beim dritten Versuch haben die Forscher die Manipulation (siehe unten) werblicher gestaltet und den Personen auch Schrittzähler mitgegeben: „Die breit geprimte Gruppe im dritten Versuch hat dann wieder mehr Geld für Spontankäufe ausgegeben, hat sich deutlich länger im Supermarkt aufgehalten und die Personen sind dort auch deutlich mehr Schritte gegangen als die aus der eng geprimten Gruppe.“

Neben der Feldstudie haben die Forscher das Experiment auch im Labor durchgeführt, in insgesamt drei Varianten: Eine Studierendengruppe wurde mit Eyetracking-Brillen ausgestattet ebenfalls geprimt in einen Markt geschickt – auch das Eyetracking zeigte, dass sich die Aufmerksamkeit bei den eng geprimten Personen auf das Mittelfeld richtet, während breit geprimte Personen auch die Ränder von Regalen beachten. Bei zwei weiteren Laborversuchen mussten Personen mit Mausklicks auf einem Bild Produkte markieren, die sie kaufen würden bzw. sich Produkte merken – auch hier überlappten das jeweilige Priming und das Klickverhalten deutlich.

Auswirkungen

Diese Erkenntnisse können nun unter anderem für die Behandlung von Zwangsstörungen von Nutzen sein, wie Mathias Streicher erklärt: „Impulskäufe sind für die meisten Menschen etwas zwar Alltägliches, aber nicht schlimm. Für Menschen, die unter Kaufzwang leiden, kann diese Krankheit aber an die Existenzgrundlagen gehen – mit dem Nachweis, dass die individuelle Aufmerksamkeit eine Rolle beim Kaufverhalten spielt, können Therapien darauf ausgerichtet werden, dass Betroffene lernen, ihre Aufmerksamkeit bewusster zu steuern.“ Auf der anderen Seite könnten auch Supermärkte reagieren und ihre Werbung so anpassen, dass Käuferinnen und Käufer ihre Aufmerksamkeit breiter lenken – diese Erkenntnisse also für ihre Werbung und letztlich für die Umsatzsteigerung nutzen. „Uns ist wichtig, diesen Mechanismus aufzuzeigen. Die eigene Aufmerksamkeit spielt bei Impulskäufen eine ganz wesentliche Rolle, viel stärker, als man das vielleicht auch intuitiv vermuten würde. Dieser Tatsache müssen sich Konsumentinnen und Konsumenten bei ihren Einkäufen bewusst sein“, sagt der Konsumforscher.

Die Feldstudie

Vor Besuch des Supermarkts wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie vorbereitet: Eine Gruppe musste in rascher Folge auf 20 Folien jeweils den Gegenstand im Zentrum benennen, eine zweite jeweils den Gegenstand in einer der Ecken (siehe Bilder). So wurde ihre visuelle Aufmerksamkeit auf den Mittelpunkt des Blickfelds (erste Gruppe) oder auf die breitere Umgebung (zweite Gruppe) gelenkt. Vor Betreten des Supermarkts wurden die Personen außerdem gefragt, was sie planen, zu kaufen. Jene Gruppe, die mit breiter Aufmerksamkeit in den Supermarkt gegangen ist, kam mit deutlich mehr ungeplanten Einkäufen wieder heraus als die Gruppe, deren Blick auf engere Aufmerksamkeit vorbereitet („geprimt“) wurde. Insgesamt wurde diese Feldstudie drei Mal mit jeweils rund 100 Personen durchgeführt, die Ergebnisse haben sich jedes Mal bestätigt. Beim dritten Versuch wurde den Testpersonen auf den Folien statt willkürlicher Gegenstände echte Waren aus dem Supermarkt gezeigt, außerdem bekamen sie auch einen Schrittzähler mit. Das Ergebnis hier: Die breit geprimten Personen gaben noch mehr Geld aus und sie bewegten sich auch im Supermarkt weiter und blieben länger als die andere Gruppe. Neben der Feldstudie haben die Forscher auch Laborversuche mit weiteren insgesamt 300 Personen durchgeführt, die die Ergebnisse ebenfalls bestätigt haben.

Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF)

Quelle   Universität Innsbruck 2017